Erich Baumann

Die neue Bürk-Hauptuhr

aus: NUZ 22/1954 (S.15ff)

Die Hauptuhr, auch Mutteruhr genannt, gehört schon seit langem zum festen Bestand einer ganzen Reihe von Uhrenfabriken und ist aus der Welt der Uhr, aus der gewerblichen Wirtschaft schlechthin nicht mehr wegzudenken. Bei der großen Bedeutung, die heute der Faktor "Zeit" im Wirtschafts= und Erwerbsleben einnimmt, kann es nicht wundern, wenn an die Zuverlässigkeit der Hauptuhr, an ihre Ganggenauigkeit, an die Betriebssicherheit der Übertragungsorgane sehr hohe Ansprüche gestellt werden.

Bürk Hauptuhr HU110

Betrachten wir die neue Hauptuhr der Württembergischen Uhrenfabrik Bürk Söhne, Schwenningen (Neckar), so sehen wir sehr deutlich, hier gab es noch manches nachzuholen, und die Hauptuhren entsprachen sowohl was ihrem mechanischen als auch ihren elektrischen Teil anbelangten, durchaus nicht mehr dem neuesten Stand der Technik. Es ist möglich, mit neuen Ideen und neuen Mitteln eine Hauptuhr zu bauen, die bei geringem Aufwand die Qualitäten ihrer Vorgängerinnen bei weitem übertreffen und darüber hinaus eine Reihe diesen fremd gewesener Vorzüge besitzen, ist mit der Schöpfung der neuen Bürk-Hauptuhr eindeutig gelungen.

Die meisten der verwendeten Hauptuhren sind "Schwachstrom"=Uhren und werden mit 6 bis 24 V Gleichstrom betrieben. Diese niedere Spannung entspricht nicht einer Notwendigkeit in bezug auf die Hauptuhr, sondern ergibt sich aus dem Wesen der gesamten Anlage, die als "Fernmeldeanlage" ausgelegt ist. Nach den Bestimmungen des VDE entsprechend muß sie deshalb mit niedrigen Spannungen betrieben werden. Das bringt es natürlich mit sich, daß wir für die Hauptuhr bzw. für die gesamte Anlage eine besondere Stromquelle benötigen, die uns in Abweichung zu der heute allgemein üblichen Netzspannung von 120 bis 220 Volt Wechselstrom, Gleichstrom von niedriger Spannung liefert. Ganz abgesehen davon, daß man für die Fortschaltimpulse Gleichstrom benötigt, nimmt man diese Stromart und die entsprechende Spannung gern in Kauf, erhält man diese doch in der Regel aus einem Akkumulator. Dadurch hat man eine "elektrische" Gangreserve, man ist also ziemlich unabhängig von den Launen des Starkstromnetzes. So wichtig dieses auch bei größeren Anlagen sein mag, so wirkt sich der Preis für das Stromversorgungsgerät (Akkumulator und Dauerlader) bei kleinen Anlagen sehr verteuernd aus.

Der direkte Anschluß der Hauptuhr an das Lichtnetz bringt aber eine ganze Reihe von Problemen mit sich. Hauptuhren haben heut meist eine mechanische Gangreserve in der Größenordnung von über sechs Stunden. Hier würde also eine Stromunterbrechung, die ja auch den elektrischen Aufzug stillegt, kaum Schaden anrichten können, denn Stromunterbrechungen in dieser Größenordnung sind heute so gut wie unbekannt. Es wäre aber nur ein halber Gewinn, oder genau gesehen gar keiner, wollte man nun die Hauptuhr direkt an das Lichtnetz anschließen und für die Nebenuhren eine eigene Schwachstromquelle benutzen. Schließen wir die Nebenuhren über einen Transformator und einen Trockengleichrichter an das Lichtnetz an, dann haben wir wohl eine fast wartungsfreie und unbegrenzt zuverlässige Stromquelle, aber keinerlei Garantie bei Stromunterbrechungen, denn bei der kleinsten Stromunterbrechung bleiben sofort alle Nebenuhren stehen. Dies wäre noch zu verschmerzen, wenn nicht die Hauptuhr weiterlaufen und so die Übereinstimmung zwischen Hauptuhr und den Nebenuhren verloren gehen würde.

Hier schafft die neue Bürk=Uhr in einer Weise Abhilfe, die für die meisten Verwendungszwecke ausreichend sein wird: Das Werk der Bürk=Hauptuhr besitzt eine Nachlaufeinrichtung, d. h. fällt der Strom aus, dann bleiben naturgemäß die angeschlossenen Nebenuhren stehen. Das Werk der Hauptuhr läuft infolge der mechanischen Gangreserve weiter, lediglich der elektrische Aufzug setzt aus. Beim Wiedereinsetzen des elektrischen Stroms wird das Gewicht wieder angehoben und gleichzeitig die Nebenuhren automatisch auf den Stand der Hauptuhr nachgestellt. Diese Nachlaufeinrichtung gestattet es für die meisten Fälle, auf eine besondere Stromversorgung zu verzichten und die Hauptuhr unmittelbar an das Lichtnetz anzuschließen (Abbildung i).

Ein weiteres, sehr positives Merkmal der neuen Hauptuhr ist die Verwendung von Quecksilberschaltröhren für die Polwendekontakte, also für die Fortschaltung der Nebenuhren. Diese Quecksilberröhren, die vollkommen wartungsfrei arbeiten, bedingen eine grundlegend neuartige Konstruktion. Es ist Bürk gelungen, ohne Differential mit nur sieben rotierenden Wellen auszukommen. Der prinzipielle Aufbau des Werks ist nach den bereits erteilten Patenten in der Abbildung 2 dargestellt:

Bürk Hauptuhr HU110

Durch das Antriebsgewicht wird über das Gehwerk das Gangrad angetrieben. Der in Punkt C drehbar gelagerte Winkelhebel 23 wird durch die Feder 28 gegen den Träger der Gewichtsrolle gezogen und folgt der Bewegung des Gewichts. Der Hebel 23 dreht sich also langsam nach rechts und hebt den Hebel 25 aus einer der beiden Sperrnuten der Sperrscheibe 18. In Punkt B ist der Röhrenträgerhebel 26 im Hebel 25 drehbar gelagert. Der Hebel 26 wird durch die Linksbewegung des Hebels 25 langsam angehoben. Sein rechtes Ende ruht auf dem Exzenter 27 und wird durch dessen Drehbewegung ebenfalls um den gleichen Betrag wie der Drehpunkt B angehoben, so daß eine Parallelverschiebung nach oben erfolgt. Hat der Exzenter 27 seinen Höhepunkt überschritten, kippt der Röhrenträgerhebel 26 nach rechts und schaltet über die Quecksilberschaltröhre 16 den Aufzugmotor 14 ein. Das Antriebsgewicht wird über ein Rädervorgelege durch Linksdrehen des Aufzugsrads 19 aufgezogen. Der Winkelhebel 23 folgt wieder dieser Bewegung, so daß sich das abgewinkelte Ende des Hebels 25 gegen den Umfang der Sperrscheibe 18 legt. Jetzt bleibt der Lagerpunkt B solange angehoben u. die Quecksilberschaltröhre 16 eingeschaltet, bis das auf Sperrscheibe 18 ruhende Ende des Hebels 25 in die nächste Sperrnute einfallen kann. Erst jetzt senkt sich der Lagerpunkt ruckartig und schaltet dadurch mit der Quecksilberschaltröhre 16 den Aufzugmotor 14 aus. Das Antriebsgewicht wird also minutlich aufgezogen. Ferner wird jede Minute, also jeweils bei einer Halbdrehung der Sperrscheibe 18 eine der beiden dreipoligen Quecksilberschaltröhren gekippt. Durch die abwechselnde Betätigung der beiden Quecksilberschaltröhren werden in ihrer Richtung wechselnde Impulse an die Nebenuhren abgegeben.

Wird am Minutenzeiger 12 der Hauptuhr das Gehwerk im Uhrzeigersinn gerichtet, so dreht sich das Laufradtrieb 5 lose auf der Laufradwelle. Das Laufradtrieb 5 ist fest mit der an ihren Enden halbkugelig geprägten Friktionsfeder 9 vernietet. Die gegen die Planseite des Laufrads gepreßte Friktionsfeder gleitet auf der Planseite des Laufrads entlang und rastet von Minutenbetrag zu Minutenbetrag spürbar in je zwei der Laufradbohrungen ein. Durch Rechtsdrehen des Minutenzeigers senkt sich das Antriebsgewicht, so daß die Nachlaufeinrichtung in Tätigkeit tritt. Bei dem in Abbildung 2 gezeigten Ausführungsbeispiel legt sich der Hebel 23 gegen den Anschlagstift 29. Der Hebel 25 wird angehoben. Die Quecksilberschaltröhre 16 bleibt solange in Einschaltstellung, bis das Antriebsgewicht wieder seine ursprüngliche Höhe einnimmt und über dem Hebel 23 zum Hebel 25 auf den Umfang der Sperrscheibe gelegt wird, sodaß der Hebel 25 in die nächste Sperrnute einfallen kann. Das Antriebsgewicht ist wieder aufgezogen, die Nebenuhren zeigen jetzt wieder die Zeit der Hauptuhr an. Wird der Minutenzeiger um einige Minuten zurückgestellt, so wird dadurch das Gewicht noch weiter  aufgezogen, dadurch neigt sich der Hebel 23 noch weiter nach links. Der Hebel 25 folgt dieser Bewegung bis er im Grund der Sperrnute der Sperrscheibe 18 aufsitzt. Der Lagerpunkt B senkt sich so tief, daß die Quecksilberschaltröhre in Ausschaltstellung bleibt. Da das Antriebsgewicht 15 jetzt nicht mehr aufgezogen wird, werden auch die Quecksilberschaltröhren 30 und 31 nicht mehr ge= kippt, und die Nebenuhren bleiben stehen. Ist das Antriebsgewicht in seine Normallage gesunken, zeigt die Hauptuhr wie= der die Zeit der Nebenuhren an. Das Antriebsgewicht wird wieder minutlich angehoben und gleichzeitig auch wieder die Nebenuhren weitergeschaltet.

Die Impulsdauer für die Fortschaltung der Nebenuhren beträgt drei Sekunden, sodaß eine sichere Fortschaltung gewährleistet ist. Die dreipoligen Polwendekontakte sind mit vier Ampere belastbar. Es werden zwei Typen hergestellt: Type HU 110 mit 3/4 Sekundenpendel und die Type HU 120 mit Sekundenpendel. Die mechanische Gangreserve beträgt bei HU 110 15 Stunden und bei der als Standuhr ausgeführten HU 120 30 Stunden, das dürfte für alle Fälle ausreichend sein.

Auf Wunsch kann die neue Bürk=Hauptuhr mit einem temperaturkompensierenden Invarstahlpendel geliefert werden. Die mittlere tägliche Gangschwankung beträgt dann für das 3/4 Sekundenpendel 0,4 Sekunden und für das Sekundenpendel 0,2 Sekunden. Diese Werte werden auch bei größeren Temperaturänderungen nicht überschritten. Da sich in der Regel die täglichen Gangschwankungen über längere Zeiträume hinweg etwa ausgleichen, kommt man mit einem solchen Pendel zu einer Gangabweichung, die ein bis zwei Sekunden im Monat kaum übersteigt.

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